Frauen sind weltweit in besonderem Maße von Gewalt betroffen. Die Folge: physische, psychische und soziale Auswirkungen für die Betroffenen. Um Gewalt gegen Frauen erfassen und bekämpfen zu können, sind wissenschaftliche Studien wichtig. Doch Umfragen zu Gewalterfahrungen können Erlebtes wieder hochholen und Studienteilnehmerinnen erneut in Stresssituationen versetzen. Das emotionale Wohlbefinden der Befragten zu berücksichtigen, ist daher besonders wichtig.
Zwar berichten die meisten Teilnehmerinnen früherer Gewaltstudien keine schädlichen Folgen nach den Befragungen; Auswirkungen auf Teenagerinnen in Ländern mit mittleren oder niedrigen Einkommen sind allerdings noch weitgehend unbekannt. Hier setzt die Studie von Prof. Janina Steinert und ihrer PhD Studentin Shruti Shukla von der Professur für Global Health an: Sie haben mehr als 3000 junge Frauen im Alter von 13 bis 18 Jahren aus Maharashtra in Indien befragt, um zu untersuchen wie Charakteristika der Interviewerinnen, Ort und Art des Interviews sowie Charakteristika der Teilnehmerinnen selbst deren Wohlbefinden während und nach der Befragung beeinflussten.
Das Ergebnis: Teilnehmerinnen berichteten meist über positive Erfahrungen. Dennoch sah sich ein erheblicher Teil während des Befragungsprozesses mit Problemen konfrontiert: Ein Drittel fühlte sich an traurige Ereignisse erinnert, und ein Viertel gab an sich nach dem Interview erschöpft zu fühlen. Diese Ergebnisse stimmen mit ähnlichen Studien aus anderen Ländern überein, die sowohl positive als auch negative emotionale Reaktionen nach dem Interview aufzeigen.
Die Analyse ergab außerdem, dass das Einfühlungsvermögen der interviewenden Person eine entscheidende Rolle bei der Verringerung des Leidensdrucks der Teilnehmerinnen spielte. Führten ältere Personen die Interviews durch, trug das ebenfalls zu einer verringerten Belastung bei, möglicherweise weil sie eher als Betreuungspersonen wahrgenommen werden. Umgekehrt fühlten sich die Teilnehmerinnen stärker belastet, wenn Personen mit höherem Bildungsstand die Befragung durchführten, was wahrscheinlich sich auf ein wahrgenommenes Machtgefälle zurückzuführen lässt.
Darüber hinaus spielte der Ort und die Art der Befragung eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden der Teilnehmerinnen: Audio- und mobilunterstützte Selbstinterviews führten zu einer geringeren Belastung der Befragten, während Interviews in den Häusern der Teilnehmerinnen – und somit in unmittelbarer Nähe zu möglichen Tätern – das Belastungsniveau erhöhten.
Kennen Forschende die Faktoren, die das Wohlbefinden von Studienteilnehmerinnen beeinflussen, können sie Interviewsituationen an die Bedürfnisse der Studienteilnehmerinnen anpassen – Sie können dann etwa Orte und Personen für das Interview-Setting auswählen, die die Belastung für die Studienteilnehmenden verringern.
Langfristig lassen sich Forschungspraktiken zum Thema Gewalt so ethisch gestalten und Vertrauen aufbauen.
