Nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 herrscht auch außerhalb des Schlachtfelds ein Krieg: der um Informationen. Den sozialen Medien wird bei der Verbreitung russischer Narrative in Bezug auf den Ukraine-Krieg oft eine Schlüsselrolle zugesprochen. Doch ist das gerechtfertigt? Ist Nachrichtenkonsum über Social Media tatsächlich entscheidend dafür, dass Desinformationen bei den Konsumenten verfangen?
Dr. Jan Zilinsky, Prof. Yannis Theocharis und Dr. Franziska Pradel vom Lehrstuhl für Digital Governance an der HfP gehen dieser Annahme in ihrer gemeinsam mit einem internationalen Team von Forschenden veröffentlichten Studie nach. Dazu führten sie Befragungen in 19 Ländern durch, darunter zahlreiche europäische Staaten und bislang eher wenig untersuchte Länder wie Griechenland, Serbien, Ungarn, Tschechien und Polen, aber auch Brasilien, und die USA.
Ein bereits verfestigtes Verschwörungsdenken hat einen größeren Einfluss als Social-Media-Konsum
Russische Desinformationskampagnen auf Social Media sind berüchtigt, doch sie sind nicht der ausschlaggebende Faktor dafür, dass russische Narrative und Rechtfertigungen in Bezug auf den Ukraine-Krieg verfangen, so die Ergebnisse der Studie. In Befragungen hielten besonders die Personen Falschinformationen Russlands zum Ukraine-Krieg für wahr, die bereits eine Tendenz zu Verschwörungsglauben aufwiesen. Die Tendenz zu Verschwörungsdenken gehe mit einer Empfänglichkeit für russische Narrative einher, so Jan Zilinsky, Erstautor der Studie. Gleichzeitig sei es wichtig, anzuerkennen, dass die meisten Europäischen Bürger die russische Kriegspropaganda nicht einfach unkritisch akzeptieren. Zilinsky sieht diese Widerstandsfähigkeit als Basis und Schlüssel dafür, das Vertrauen in demokratische Institutionen und Werte langfristig zu stärken.
Eine besonders starke Verbreitung von Verschwörungsdenken stellten die Forschenden in Brasilien, Serbien und Griechenland fest. Befragte aus Deutschland, den Niederlanden und Schweden dagegen neigten eher weniger dazu Verschwörungsnarrativen im Allgemeinen zu glauben.
Individuelle Faktoren haben je nach Land unterschiedlich starken Einfluss
In Bezug auf weitere individuelle Faktoren wie die Art der konsumierten Medien, das Alter oder die Ausprägung von politischem Zynismus lieferten die Befragungen große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. So spielte es für den Glauben an russische Kriegspropaganda in einzelnen Ländern zwar durchaus eine Rolle, ob Personen sich über traditionelle Medien wie Fernsehen und Zeitung informierten oder über Social Media, insgesamt zeigt sich dieser Zusammenhang aber als gering. Auch erwiesen sich ältere Befragte, anders als früheren US-Studien nahelegen, nicht als anfälliger für Desinformation. Auch eine misstrauische Haltung gegenüber politischen Institutionen, Prozessen und Akteuren erwies sich verglichen mit Verschwörungsgläubigkeit als weniger entscheidend für den Erfolg von russischer Kriegspropaganda.