Um die Dunkelziffer besser zu verstehen, haben Cara Ebert vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen und Janina Steinert zwischen dem 22. April und dem 8. Mai 2020 eine Online-Befragung mit verpartnerten Frauen (18-65 Jahre) durchgeführt, als diese über einen Monat lang im Lockdown gelebt hatten. Die Umfrage ist repräsentativ für Deutschland. Sie ermittelten die Prävalenz verschiedener Formen von Gewalt innerhalb des letzten Monats sowohl durch direkte Befragung als auch durch ein Listenexperiment. Anschließend führten sie eine multivariable logistische Regression durch, um den Einfluss pandemieassoziierter Risikofaktoren zu bewerten.
Von den über 3800 Befragten berichteten 118 (3,09 %; 95 % Konfidenzintervall, KI: 2,54 bis 3,64) von körperlichen Konflikten, 293 (7,67 %; 95 % KI: 6,83 bis 8,52) von emotionalem Missbrauch und 97 (6,58 %; 95 % KI: 5,31 bis 7,85) von 1474 Befragten mit Kindern von körperlicher Züchtigung der Kinder. Die Forscherinnen schätzten, dass 3,57 % (95 % KI: -0,33 bis 7,46) nicht-einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihrem Partner hatten. Die Regressionsanalyse ergab ein erhöhtes Risiko für körperliche Konflikte bei häuslicher Quarantäne (Odds Ratio, OR: 2,38; 95% CI: 1,56 bis 3,61), finanziellen Sorgen (OR: 1,60; 95% CI: 0,98 bis 2,61), schlechter psychischer Gesundheit (OR: 3,41; 95% CI: 2,12 bis 5,50) und jungen (< 10 Jahre) Kindern (OR: 2,48; 95% CI: 1,32 bis 4,64); für andere Formen von Gewalt wurden ähnliche Ergebnisse erzielt. Der Bekanntheitsgrad und die Inanspruchnahme einschlägiger Unterstützungsdienste war gering. Die Forscherinnen kamen zu dem Schluss, dass die Ergebnisse die politischen Entscheidungsträger veranlassen sollten, die Sicherheit von Frauen und Kindern zu verbessern. Es sind Maßnahmen zur Verringerung der Risikofaktoren und zum Ausbau der Unterstützungsdienste erforderlich.
Diese Punkte werden auch in Janina Steinerts Interview betont. Neben ökonomischen und psychischen Belastungsfaktoren verschlimmerte der Mangel an sozialen und institutionellen Hilfsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Freunde, Ärzte oder Kindergartenpersonal, die Situation.
Janina Steinert ging auch auf die zugrunde liegenden Risikofaktoren ein: Gewalterfahrungen in der Familie in der Kindheit, Drogenmissbrauch und psychische Probleme erhöhen das Risiko, Opfer oder Täter von häuslicher Gewalt zu werden.
Die Dunkelziffer ist vermutlich höher, weil Frauen sich schämen, ein (verinnerlichtes) Stigma haben oder weil ihr Partner zu viel Kontrolle über ihr Verhalten ausübt.
Um die Gewalt zu beenden, ist es sehr wichtig, Hilfe zu suchen. Dies kann jedoch für die Opfer aus den oben genannten Gründen schwierig sein, insbesondere wenn die eigenen Kinder direkt oder indirekt gefährdet sind. Daher ist die Unterstützung von außen entscheidend. Sie rät Nachbarn, Freunden und Bekannten, die potenzielle Probleme oder Risiken bemerken, lieber einmal mehr als nötig die Polizei zu rufen oder in einem sicheren Moment mit den Opfern zu sprechen und ihnen Hilfe anzubieten und ihnen Kontaktmöglichkeiten für professionelle Hilfe zu vermitteln.
Den gesamten Artikel mit dem Interview und weiteren Informationen zum Thema können Sie auf der Webseite von Spektrum der Wissenschaftlesen.
Der besprochene Forschungsartikel kann als Open-Access-pdf auf der Webseite des Institutional Repository for Information Sharing (iris.) of the WHO gelesen werden.