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Nikolay Lunchenkov im Interview mit AIDS.map über LGBT-Gesundheit in der EECA-Region

Nikolay Lunchenkov promoviert an der Professur für Global Health an der TUM. Derzeit ist er als LGBT-Gesundheitskoordinator der Eurasian Coalition on Health, Rights, Gender and Sexual Diversity (ECOM) beratend tätig. Nikolay hat Erfahrungen sowohl aus medizinischer als auch aus Community-Perspektive und sein Hauptforschungsinteresse gilt der sexuellen Gesundheit, PrEP und dem Drogenkonsum unter Männern, die Sex mit Männern haben. AIDS.map interviewte ihn zum Thema LGBT-Gesundheit in Osteuropa und Zentralasien (EECA) und den in diesem Bereich tätigen Organisationen.

Nikolay hebt drei wichtige Bereiche hervor, die der LGBT-Gemeinschaft in Osteuropa und Zentralasien (EECA) Sorgen bereiten.

Erstens die steigende Zahl der neuen HIV-Fälle in der EECA-Region. Der Zugang zu HIV-Präventionsprogrammen und -Gesundheitsfürsorge ist von Land zu Land unterschiedlich, was die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit betrifft. Viele Länder haben kostenlose Systeme. Die Situation in der Russischen Föderation unterscheidet sich hiervon sehr stark, obwohl sie der regionale Hotspot für HIV-Prävalenz ist. Die negativen Folgen davon verschlimmern sich, da die russischen Großstädte viele Arbeitsmigranten anziehen, die dort keinen Zugang zu Präventionsprogrammen haben, die einen gewissen Schutz vor HIV oder anderen sexuell übertragbaren Infektionen bieten. Außerdem ist eine kostenlose HIV-Behandlung in Russland nicht möglich und Personen mit einer HIV-Infektion, die nicht die russische Staatsbürgerschaft besitzen, müssen abgeschoben werden.

Der zweite Punkt sind Dienstleistungen für Transmenschen. Sie sind eine der am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen in der EECA-Region, da es z. B. in vielen EECA-Ländern keine geschlechtsangleichende Therapie gibt und sie von staatlichen Einrichtungen massiv diskriminiert werden.

Der dritte hervorgehobene Punkt ist psychische Gesundheit. Eine Person, die einer LGBT-Community angehört oder sich als queer identifiziert, hat eine enorme emotionale und psychische Belastung, insbesondere wenn sie von ihrem sozialen oder staatlichen System diskriminiert wird. Dieser persönliche Stress kann zu ungesunden Bewältigungsstrategien wie Alkoholkonsum, Drogenkonsum und/oder Chemsex führen.

Dieser Aspekt hat auch allgemeinere Ausmaße: Wie das Leben aussieht, hängt davon ab, wo man lebt, aber im Allgemeinen wird man als schwuler Mann sehr wahrscheinlich diskriminiert, und in den meisten Ländern gibt es keinen rechtlichen Schutz, wie etwa gegen die so genannten "Hassverbrechen", die in Westeuropa allgemein anerkannt sind. Zusätzlich wird Homosexualität in einigen Ländern kriminalisiert, wobei sogar als Folter zu bezeichnende Methoden angewandt werden, um herauszufinden, ob Männer Sex mit anderen Männern hatten, um so über mehrjährige Haftstrafen zu entscheiden.

Ein weiterer Punkt, der erwähnt wurde, war, dass in Westeuropa Ärzte als auf Patienten-Seite stehend angesehen werden, die allen helfen und Patienten-Rechte respektieren. Und wenn das nicht der Fall ist, kann man sich auf Sanktionsmaßnahmen und den Staat verlassen, um seine Rechte zu garantieren. Dies kann in der EECA-Region ganz anders sein, da Ärzte oft als Teil eines LGBT- oder Queer-unterdrückenden Staates angesehen werden. Dies erschwert den Zugang zu und das Vertrauen in medizinische Fachkräfte. Es ist eine große Hilfe, dass die LGBT- und Queer-Gemeinschaften in diesen Ländern sich gegenseitig unterstützen, um vertrauenswürdige Ärzte zu finden oder in anderen Lebenssituationen in diesem schwierigen Umfeld zu helfen.

Auf strukturellerer Ebene ist ein großes Problem für Organisationen, die im Bereich der LGBT-Gesundheit und -Prävention arbeiten, die Finanzierung der Programme. Die Auslagerung von Präventionsdienstleistungen an community-basierte Organisationen wird nicht in allen Ländern akzeptiert oder gefördert, insbesondere wenn diese Organisationen Finanzmittel aus dem Ausland erhalten. Aus evidenzbasierter Sicht kann die Stärkung solcher community-basierten Organisationen die Gesundheit der Communities erheblich verbessern, da sie über Kontakte, Vertrauen und Wissen von und über ihre Community verfügen.

Trotz dieser negativen Lage gibt es auch Grund zur Zuversicht und zum Optimismus. Die EECA-Länder nehmen Änderungen in der Gesundheitspolitik vor und verbessern die Situation der community-nahen Organisationen, indem sie Präventionsprogramme, PrEP-Zugang und Datenerhebungen wirksam fördern. Ein führendes Land in diesem Bereich, selbst in Kriegszeiten, ist die Ukraine.

Nikolay beschrieb auch kurz einige der aktuellen Projekte von ECOM in der Region: Sie führen den European MSM Internet Survey (EMIS) in der EECA-Region durch, sind Teil des Projekts Sustainability of Services for key populations in EECA region (SOS 2.0), das vom Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria finanziert wird, und konzentrieren sich hier auf die Bewerbung und Aufklärung über PrEP, die Überwachung von SOS 2.0 im Allgemeinen, und die erschließung neuer Erkenntnisse durch regionale Daten, um diese mit den Zielen von UNAIDS zu vergleichen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass die EECA-Region eine große Lücke bei den Testungen aufweist.

Weitere Informationen über Nikolay und seine Arbeit finden Sie auf Nikolay Lunchenkovs Profil. Im Rahmen seiner Doktorarbeit arbeitet er derzeit über Chemsex in Kasachstan.

Den vollständigen Artikel können Sie auf der Website von AIDS.map im englischen Original lesen.

Letztes Jahr hat Nikolay auch ein Webinar über PrEP organisiert. Ein Video davon und das Programm des Webinars finden Sie hier.